Samstag, 30. Oktober 2010

Mißbrauchte Autoritäten

Wer als Vertreter der "technischen" Seite öfter in Diskussionen mit Subjektivisten verwickelt ist der kennt das: Das "wenn-Du-ein-richtiger-Wissenschaftler-wärst-dann-wärst-Du-bescheiden-und-wüßtest-daß-Du-falsch-liegen-kannst" Argument. Oder kürzer: "Galilei wurde vom Establishment damals auch abgelehnt - und er hatte trotzdem recht!".

Statt Galileo Galilei wird je nach Präferenz öfter auch Einstein benutzt. Andere Autoritäten fallen den Leuten selten ein.

Ein harmlos aussehendes Argument, das man sogar für geradezu selbstverständlich halten kann: Niemand kann sich anmaßen die absolute Wahrheit für sich gepachtet zu haben, und Galilei wie Einstein haben gezeigt wie falsch sogar ein wissenschaftliches Establishment liegen kann.

Und doch gehört dieses Argument zu den ignorantesten, unverschämtesten und niederträchtigsten Argumenten in den Händen eines Subjektivisten. Jedenfalls ist das meine Meinung. Ein Argument mit dem sich ein Diskussionsteilnehmer auf der Stelle selbst disqualifiziert.

Vielleicht sehe ich das deswegen so "unentspannt" weil ich besagte "Autoritäten" sehr schätze und mich ärgert wie diese bewundernswerten Leute für Ziele mißbraucht werden mit denen sie mit Sicherheit nicht einverstanden gewesen wären. Und das von Leuten die in aller Regel keinen Schimmer davon haben worin die Leistung dieser Wissenschaftler tatsächlich bestanden hat (und worin eben nicht!). Wenn diese Leute nicht im Grabe rotieren, dann deswegen weil sie längst Lagerschaden haben.

Aber hier meine Tirade gegen diese Frechheit:
  • Da weiß Einer ganz offensichtlich von der in Frage stehenden Wissenschaft genau Null, aber daß seine eigene Wahrnehmung das Potential hat, diese Wissenschaft zu revolutionieren, daran glaubt er offenbar fest. Nur zum Vergleich: Galilei und Einstein kannten die damals etablierten Erklärungen und Denkmodelle genau. Die Subjektivisten haben von den von ihnen kritisierten Theorien keine Ahnung.
  • Der Diskussionsgegner soll sich gefälligst seiner Fehlbarkeit bewußt werden, aber daß die ganze Prämisse falsch sein könnte, mit der der Subjektivist seine Wahrnehmung für bedeutend erklärt, das darf nicht gesagt werden. Wo ist da also die Fehlbarkeit des Subjektivisten geblieben?
  • Das ganze Argument kommt meist zu einer Zeit in der schon aus dem Diskussionsverlauf klar wird daß es um einen pauschalen Maulkorb für den "Techniker" gehen soll. Demnach macht man sich auch gar keine Mühe ihm konkret nachzuweisen wo und warum seine Ansichten unangebracht oder zu selbstsicher sind, sondern es geht um ein pauschales Argument gegen das Selbstbewußtsein im Ganzen. Als solches ist es natürlich absurd: Niemand stellt immer alles in Zweifel, schon gar kein Wissenschaftler. So etwas würde jede konstruktive Arbeit und in der Tat das ganze Leben unmöglich machen. Man geht immer von einer Grundlage aus die man (vorläufig) nicht bezweifelt, auch und gerade die Subjektivisten tun das.
  • Weder Einstein noch Galilei hätten gutgeheißen wenn sie für etwas in Anspruch genommen werden was ihrer eigenen Grundhaltung diametral entgegen steht. Beide haben große Stücke auf die Mathematik als Grundlage der Naturerkenntnis gehalten, und hätten mit Sicherheit nicht ihre eigene Wahrnehmung als Maß der Dinge ausgegeben. Schon Galilei hat in Form des Fernrohrs ein Instrument als "Wahrnehmungsverstärker" benutzt, und hat generell geradezu Pionierarbeit darin geleistet wie man auf der Grundlage mathematischer Theorie Instrumente konstruiert, die einem bei der Naturerkenntnis helfen können. Und bei Einstein ist vollends klar daß die Wahrnehmung beim Begreifen der natürlichen Erscheinungen eher hinderlich ist. Seine Relativitätstheorie und noch mehr die Quantentheorie sind ja geradezu das Gegenteil von "anschaulich" und wären mit absoluter Sicherheit nicht von jemandem gefunden worden der die Wahrnehmung obenan stellt. Einstein ist zudem ein geradezu klassisches Beispiel für einen "Theoretiker". Ihn als Kronzeugen für eine subjektivistische Sichtweise heranzuziehen ist ganz besonders absurd.
  • Die Tatsache daß es ein paar Beispiele in der Vergangenheit gibt wo ein "Außenseiter" tatsächlich recht hatte und das "Establishment" unrecht, ist noch lange kein Argument dafür daß man jeden Außenseiter ernst nehmen müßte. Von 1000 solchen Außenseitern ist bestimmt weniger als einer auch nur einen Pfifferling wert, was seine Ansichten angeht. Ab und zu mag ein Spinner genial sein. Im Allgemeinen ist er einfach ein Spinner. Wenn einer mal kein Spinner ist, und wirklich die besseren Argumente auf seiner Seite hat, dann setzt er sich auch am Ende durch. Galilei und Einstein sind beide dafür ein Beispiel, allen Anfechtungen zum Trotz.
Besonders angetan bin ich von der pseudointellektuellen Belehrung von Dr. Holger Kaletha, weil sie so kompakt das ganze Desaster prägnant verkörpert. Er kriegt es hin in wenigen Sätzen so ziemlich alles falsch zu verstehen was man falsch verstehen kann. Er meint dabei die "Gesinnung" seines Diskussionsgegners offenzulegen und legt noch mehr seine eigene offen. Es lohnt sich das im Einzelnen auseinander zu nehmen. Gerichtet an den Teilnehmer "Scheller" redet er von der Auseinandersetzung Galileo Galileis mit den "traditionalistischen Astronomen seiner Zeit":
"Die Geschichte ist ja bekannt: sie weigerten sich einfach, durch das Fernrohr zu sehen, als Galilei die Jupitermonde erblickte bzw. die "krummen" Planetenbahnen.

Bezeichnend ist die Begründung: Sie brauchten gar nicht durch das Fernrohr zu schauen, weil aus theoretischen Erwägungen sonnenklar sei, daß es sich bei der Wahrnehmung von Galilei nur um eine Sinnestäuschung handeln könne. Ihre Argumentation war so "gut" - immerhin stütze sie sich auf ein Jahrtausend Wissenschaftsgeschichte - daß Galilei ihr rein theoretisch erst mal nichts entgegensetzen konnte. Er war einfach sprachlos. Nur leider (oder besser: Gott sei Dank!) wissen wir: So ideologisch überzeugend die wissenschaftliche Argumentation gegenüber Galilei war, so war sie doch schlicht und einfach im Irrtum: Galileis Wahrnehmung, und nicht die ideologische Konstruktion, hatte recht!"
Hier biegt er sich schon die Geschichte nach seinem Gusto zurecht. Die "Ideologie" funktioniert auch bei Kaletha, nicht nur bei Anderen.

Bei etwas nüchterner Betrachtung sieht die Situation etwas differenzierter aus. Zum Einen ist die historische Situation bei Galilei beileibe nicht so schwarzweiß wie von Kaletha dargestellt, zum Anderen paßt der implizierte Vorwurf nicht die Bohne auf Scheller.

Gerade Scheller hat durch das "Fernrohr" um das es dort geht mit Sicherheit öfter und intensiver geschaut als Kaletha selbst. Und nicht nur das, er hat das "Fernrohr" auseinander genommen und versucht es zu verstehen. Er ist gerade nicht der Theoretiker der sein Wissen auf der Couch oder am Schreibtisch gewinnt, sondern der Experimentator der das was er wissen will auch ausprobiert. Beide Teilnehmer sind lange und oft genug in diesem Forum in Diskussionen aufeinander getroffen daß das eigentlich klar sein müßte. Der implizierte Vorwurf von Kaletha ist daher eine reine Unverschämtheit. Da hält sich jemand aufgrund eines einzigen laienhaften Versuchs für überlegen, und meint einen ausgewiesenen Praktiker mit einem Vielfachen an Erfahrungen als engstirnigen Theoretiker darstellen zu können, der sich aus Angst vor Erkenntnis weigert "durch's Fernrohr zu blicken".

Galilei's Zeitgenossen haben sich auch keineswegs geweigert durch's Fernrohr zu blicken. Die meisten haben es tatsächlich getan. Am ehesten trifft der Vorwurf vielleicht auf Giulio Libri zu, einen betagten Professor der tatsächlich aus Gründen der Logik gegen die Jupitermonde argumentierte, und auf ein paar Philosophen in Padua. Mehr als zwanzig Professoren ließen sich aber im Hause von Galilei's Konkurrenten Magini die Sache vorführen und blickten durch's Fernrohr, waren dadurch allerdings nicht zu überzeugen. Das kann zwar dadurch erklärt werden daß sie es auch nicht sehen wollten, vielleicht war ihnen die Sache aber auch tatsächlich noch zu unklar. Man braucht kein Hellseher zu sein um anzunehmen daß die Sicht durch das Fernrohr nicht gerade deutlich war, jedenfalls nicht zu vergleichen mit dem was man mit heutigen Mitteln sehen würde. Zudem sind die wenigsten mit den Himmelskörpern genug vertraut. Galilei selbst schreibt:
"In Pisa, Florenz, Bologna, Venedig und in Padua haben sehr viele durch mein Fernrohr gesehen, aber sie alle schweigen und zögern, denn die meisten sind nicht imstande, den Jupiter oder Mars, sogar kaum den Mond als Planeten zu unterscheiden."
Was man sich ebenfalls klar machen muß ist, daß damals die "moderne" Art, Wissenschaft zu betreiben erst im Entstehen war, gerade auch durch Galilei, nämlich daß es dabei auf die Beobachtung der Natur ankommt, mit deren Hilfe man Theorien verifizieren oder falsifizieren kann. Die ältere Ansicht daß man zu seinen Erkenntnissen durch Anwendung von logischen und philosophischen Überlegungen kommt war zu dieser Zeit beileibe noch nicht ausgemustert, und der Professor Libri verkörpert diese Auffassung. Welche Auffassung die richtige sein würde war zu dieser Zeit noch nicht entschieden. Aus der heutigen Sicht ist es leicht ein Urteil zu fällen, aber fair wäre das nicht.

Schließlich ist es auch falsch zu glauben, Galileis Erkenntnisse würden zuvorderst auf seiner sinnlichen Wahrnehmung fußen. Das tun sie genau nicht, und zwar obwohl er die Jupitermonde sinnlich wahrgenommen hat beim Blick durch's Fernrohr. Er hat im Gegenteil die Hoffnung gehabt daß er die Anderen durch diese sinnliche Erfahrung würde überzeugen können. Die Idee daß die Sonne und nicht die Erde den Mittelpunkt darstellt, um den sich die Planeten drehen, war schließlich schon vorher bekannt. Was Galilei entdeckte war "bloß" ein ziemlich schlagender Beweis für dieses heliozentrische Weltbild, oder genauer gesagt einer gegen das geozentrische Weltbild. Die neue Theorie stammt also gar nicht von ihm, er kannte sie vor seiner Entdeckung der Jupitermonde. Die Idee des heliozentrischen Weltbildes stammt ja aus der Antike, auch Kopernikus war nicht der erste.

Galilei jedenfalls hat dem heliozentrischen Weltbild mindestens zehn Jahre vor seiner Entdeckung der Jupitermonde zugeneigt. Die Theorie war also auch in seinem Kopf lange vor der Bestätigung durch das Fernrohr vorhanden, und als er die Jupitermonde entdeckt hatte war ihm natürlich sofort klar welche Bedeutung das für die schwelende Konkurrenz der kosmologischen Weltbilder hatte. Daraus dürfte klar sein daß seine Wahrnehmungen nicht die Ursache für seine Theorien sein können, sondern daß im Gegenteil die Theorien die Voraussetzung dafür waren daß die gemachten Beobachtungen auch richtig interpretiert werden konnten. Es ist also nicht so daß Galilei's Wahrnehmung recht hatte, sondern daß seine (bzw. Kopernikus') Theorie recht hatte. Galilei's Wahrnehmung ohne die "Verstärkung" des Fernrohrs war die gleiche wie die von allen Anderen, und die zeigte daß sich die Himmelskörper um die Erde drehen. Kalethas Ideologie verdreht diesen Sachverhalt in sein Gegenteil.

Was auch gleich durch ein glattes Falschzitat von ihm untermauert wird:
"Würde und hätte - wenn meine "Wahrnehmung" wahr wäre, dann droht der "Supergau" technischen Wissens! Aha! Das kommt einem doch irgendwie bekannt vor: Genau wie bei den Gegenspielern Galileis. Die Angst vor dem Supergau gab es auch dort, nämlich daß durch die unschuldige Wahrnehmung Galileis das ganze heleozentrische Weltbild zusammenzustürzen drohte."
Scheller hat keineswegs vom "Supergau technischen Wissens" geredet. Das erfindet Kaletha dazu. Wenn Scheller vom Supergau geredet hat dann ging es ihm offenbar darum , klarzustellen daß technischerseits schon extreme Fehler passiert sein müssen wenn der akustische Effekt so deutlich sein soll wie beschrieben. Dann muß der Auslesevorgang des CD-Spielers so gut wie zusammengebrochen sein. Es geht Scheller um die technische Funktion des Gerätes, nicht um das technische Wissen. Das Stichwort reicht aber um bei Kaletha den Gaul durchgehen zu lassen.
"Die zweite Parallele in Deiner Argumentation: Ich verstehe nichts von Audio-Technologie. Wenn das der Fall wäre, dann würde ich ja sehen, daß das alles nur Sinnestäuschung ist. Auch das war exakt die Argumentationsstrategie von Galileis Widersachern."
Nein, war es nicht. Ich wüßte nicht daß irgend jemand Galilei vorgeworfen hätte er verstünde nichts von Himmelsmechanik. Das wäre auch lächerlich gewesen angesichts der Tatsache daß er mit den klassischen Ansichten dazu sehr wohl im Detail vertraut war. Es ist deswegen eben keine Parallele, sondern ein Gegensatz zu Galilei: Kaletha versteht tatsächlich nichts von Audio-Technolgie.
"Aus rein theoretischen Erwägungen heraus wurde ein Sinneseindruck einfach a priori als Täuschung wegerklärt. Das ist natürlich sehr beruhigend für jede Theorie, eine perfekte Immunisierungsstrategie gegenüber der Wahrnehmung der Realität. Die Theorie schottet sich so nämlich schön ab: Jede mögliche Quelle des Zweifels ist verstopft: Die Erfahrung hat nichts mehr zu melden, wenn sie mit theoretischen Argumenten gleichsam "totgeschlagen" wird. Genau dieser Immunisierungsstrategie bedienen sich die technokratisch denkenden Ideologen hier so gerne im Forum. Man wird gleich überfallen mit einem Wust von technischen Erklärungen, daß angeblich nicht ist, was nicht sein kann und nicht sein darf! Von wegen Aufklärung - das ist wirklich ein krasser Widertspruch von Anspruch und Wirklichkeit. "
Der eine oder andere Galilei-Gegner befleißigte sich mit Sicherheit dieser Immunisierungsstrategie, aber den Kern des Problems stellt das dennoch nicht dar. Es ging um eine grundsätzliche Auseinandersetzung darum woher eigentlich Erkenntnis kommt, und welche relative Wichtigkeit dabei der Logik und der philosophischen Überlegung zukommt, und welcher der systematischen Beobachtung der Naturphänomene. Das ist eine eine Frage die an der Wurzel der Wissenschaft sitzt. Ihre Antwort hängt letztlich damit zusammen wie man die größeren Erfolge erzielt, und die wirklich durchschlagenden Erfolge wurden erst nach Galilei erzielt, so daß man zu seinen Lebzeiten noch nicht wissen konnte wie diese Sache ausgehen würde. Galileis Gegner waren nicht einfach engstirnig. Sie aus der heutigen Sicht summarisch in diese Ecke zu stellen ist unfair, auch wenn es durchaus Beispiele für krasse Engstirnigkeit dabei gibt.

Die Wahrnehmung bzw. die Sinneseindrücke als Quelle der Erkenntnis hätten aber keine der beiden Seiten nach vorne gestellt, deswegen ist die Argumentation von Kaletha völlig neben der Spur. Er projiziert seine eigene Ideologie in einen Sachverhalt hinein der völlig andere Inhalte hat.
"Tut mir leid: Mit dieser Haltung bist Du noch nicht in der Moderne angekommen, die eigentlich in der Einsicht besteht, daß Theorien und Ideologien an der Erfahrung zu messen sind und nicht umgekehrt."
Abgesehen davon daß der Vorwurf an Scheller völlig verfehlt ist, wird doch klar daß Kaletha selbst noch nicht da angekommen ist wo er sich anscheinend sieht. Er verwechselt zum Einen seine Wahrnehmung mit Erfahrung, und zum Anderen versäumt er es, sich klar zu machen daß man eine Theorie nur an etwas messen kann wenn man sie auch kennt.
"Den Einwand der sachlichen Inkomptenz gebe ich gerne zurück. Du hast auch nicht den blassesten Schimmer von Psychologie. Die Wahrnehmung zu verdächtigen ist sehr leicht - aber dafür muß man erst einmal Gründe vorlegen die in der Wahrnehmung selbst liegen und nicht anderswo. Wahrnehmungstäuschungen haben ihre Gesetzmäßigkeit. Welche konkrete Täuschung, die Du mir unterstellst, kommt denn hier in Frage, etwa dafür, daß die Chassis der jbl übersteuern, wie ich geschrieben habe. Meine Beschreibung ist äußerst differenziert - jeder Psychologe vom Fach wird Dir sagen, daß "illusionäre" Erlebnisse eine ziemlich stereotype Struktur haben. Im Grunde hast Du gar keine Einwände vorzubringen - sondern reproduzierst nur Deine Ideologie, Dein "Fachwissen" technischer Natur. Man kann natürlich auch mit Scheuklappen durch die Welt gehen und sich sehr wohl dabei fühlen!"
Man braucht kein Psychologie-Diplom zu haben um beurteilen zu können wann eine Wahrnehmung real ist und wann nicht. Dafür reicht oft genug eine Prise gesunder Menschenverstand, sogar eine detailliertere technische Kompetenz braucht es dazu oftmals nicht. Daß "illusionäre Erlebnisse" eine stereotype Struktur haben ist mir allerdings auch schon aufgefallen. Damit habe ich meinen Bullshit-Detektor trainiert. Diese stereotype Struktur ist in Kalethas Beitrag deutlich zu merken, finde ich. Er scheint das bloß selber nicht zu sehen.
"Ich wiederhole mich nochmals: Die Technik bzw. das technische Wissen zeigt sich nur dann stark, wenn es nicht vorgibt, im voraus alles wissen und zu kennen, sondern sich erst mal bemüht, nach einer möglichen Erklärung zu suchen in einem Fall, den es nicht versteht. Wissen, das sich gegenüber der möglichen Falsifikation durch die Wahrnehmung mit einem Theoriekorsett abschottet, ist nicht vernünftig, sondern hochmütig ideologisch. Und Hochmut kommt schließlich irgendwann mal vor den Fall - siehe Galilei!"
Das Problem besteht ja - wie so oft - nicht darin, daß "wir" (in diesem Fall mindestens mal Scheller und ich) nicht verstünden was in diesem Fall Sache ist. Wir haben ja mehr als genug mögliche Erklärungen. Wir werden in solchen Fällen immer als ratlos dargestellt, dabei akzeptiert man bloß unsere Erklärungen nicht. Man braucht die Erklärung nicht umständlich zu suchen, denn sie liegt auf der Hand! Und vor der Falsifikation durch Wahrnehmung schotten nicht wir uns ab, sondern die Subjektivisten, und zwar durch ein Ideologiekorsett das kein bißchen weniger theoretisch ist als das was man uns vorwirft.

Diese Argumentationsmuster scheinen abrufbereit in vielen Subjektivisten vorhanden zu sein, und wenn eine passende Situation kommt, dann kommen sie impulsiv zum Vorschein wie in diesem Fall bei Kaletha. Manchmal kann ich das locker nehmen. Wenn es aber mit einem intellektualistischen Duktus daher kommt widert es mich an. Leider ist das genau bei diesem Argument oft der Fall.

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Sicherung durchgebrannt

Mich haben ja bekanntlich schon mehrfach die Methoden beschäftigt wie durch Messungen (oder den Anschein davon) versucht wird, dem Leser eine audiophile "Wahrheit" näherzubringen, oder wie solche Messungen dazu benutzt werden den Skeptikern eins überzubraten. Da gab's z.B. die Messungen an den Bybee Klangbonbons im Studiomagazin, die Verstärkerklang-Messungen in der Stereoplay, und damit zusammenhängend einen Artikel über den Betrug mit Messungen. Letzteren Artikel scheint sich die Firma Gecom Technologies zu Eigen gemacht zu haben. Der skandalöse Bybee-Meßbericht von Gecom-Inhaber Stephan Goetze im Studio-Magazin, den ich ja schon damals ausführlich kritisiert hatte, war ganz offensichtlich kein Ausreißer. Die Sache hat System. Gecom scheint zur Standardadresse für Scharlatane zu werden, die ein meßtechnisches Deckmäntelchen haben wollen. Ich frage mich ob so etwas genug Geld einbringt um dafür seinen Ruf zu ruinieren.

Seit der Bybee-Geschichte ist Gecom nämlich in mindestens zwei weiteren Angelegenheiten mit "Meßberichten" aktiv geworden, beidesmal offenbar im Auftrag der Berliner Firma Hifi-Tuning, die die Ergebnisberichte auch auf ihrer Webseite zum Download bereit hält. Der erste Bericht dreht sich um CD-Entmagnetisierer, der Zweite um Feinsicherungen. Beide bleiben ganz in der Tradition des Bybee-Berichts. Irrelevante Messungen werden ohne stichhaltige Begründung (oder mit haarsträubender Begründung) für deutliche Klangeffekte verantwortlich gemacht. Zusammenhänge werden so unterstellt oder postuliert, die völlig an den Haaren herbei gezogen sind, und die dokumentierten Meßreihen sollen offenbar den Eindruck erwecken als hätte das alles Hand und Fuß. Das Ganze ist derart unseriös daß ich an des Herrn Goetze's Stelle Schiß hätte daß das Hauptgeschäft der Firma darunter leidet.

Es geht schon damit los daß die Berichte mehr oder weniger offen als Kalibrier-Dokument vorgestellt werden. Beim CD-Entmagnetisierer-Bericht ist das ganz explizit, beim Feinsicherungs-Dokument eher dezent. Von einer Kalibrierung kann beidesmal nicht die Rede sein. Kalibriert werden Meßgeräte, und nicht Sicherungen oder Entmagnetisierer. Kalibrieren sieht für den Laien natürlich besonders fundiert und "amtlich" aus, deswegen denke ich daß das nicht aus Versehen so gemacht wurde. Es ist aber sehr bedenklich wenn Goetze bereit ist seinen Namen für diese Täuschung herzugeben.

Das Dokument über die CD-Entmagnetisierer ist ein meßtechnischer Vergleich von drei verschiedenen Produkten, von denen eines von Hifi-Tuning vertrieben wird und nicht ganz überraschenderweise "gewinnt". Was dabei gemessen wird zeigt alles andere als die Wirksamkeit der Produkte, aber das wird nach allen Regeln der Kunst verschleiert. Diese Geräte tun offenbar nichts Anderes als die Entmagnetisierdrosseln, die man früher zur Behandlung von Tonköpfen benutzt hat. Bloß die Bauform ist anders. Entsprechend wird ein Magnetfeld mit der Netzfrequenz erzeugt, und das kann man natürlich auch messen.

Man sieht das über mehrere Seiten hinweg auch dargestellt, als ob es irgendwie besonders relevant wäre. Die Oberwellen im entstehenden Magnetfeld werden analysiert, und nebenbei merkt man mal wieder daß der Autor grobe Schnitzer in der Interpretation von Meßergebnissen macht, die starke Zweifel an seiner Qualifikation nähren. So interpretiert er z.B. auf einem Spektrumanalysator-Bild die Fläche unter der Kurve als Maß für die Gesamtenergie, was bei der logarithmischen Darstellung eines Spektrumanalysators völliger Unsinn ist.

Da eine CD nicht aus magnetisierbarem Material besteht ist das natürlich alles völlig irrelevant, denn daß die Geräte ein magnetisches Wechselfeld erzeugen wird kaum jemand bezweifeln wollen, und daß das Feld zwischen den Geräten unterschiedlich sein wird wohl auch nicht. Also wird auch eine Messung gemacht in der angeblich vor und nach der Behandlung einer CD das magnetische Feld der CD selbst gemessen wird. Zum Einen ist diese Messung ausgesprochen dubios, denn es ist z.B. unklar wie das Erdmagnetfeld ausgeklammert wird. Zum Anderen zeigt das Ergebnis die Irrelevanz der ganzen Sache, denn ein CD-Spieler ist schon durch seinen eigenen Trafo, und generell durch die Umgebung im Wohnzimmer, weitaus größeren Magnetfeldern ausgesetzt als es nach dieser (zweifelhaften) Messung von der CD kommen könnte.

Dieses Argument fällt dem Autor natürlich nicht ein. Es gibt auch kein Wort eines Kommentars zu den nichtmagnetischen CDs, der Autor tut so als verstünde sich die Sinnhaftigkeit der Entmagnetisierung von selbst. Stattdessen (wir kennen das ja schon von der Bybee-Geschichte) gibt's noch den Hinweis auf einen Hörtest, der die "Wirkung" bestätigt. Zu den Einzelheiten des Hörtests natürlich kein Wort.

Bei den Sicherungen sieht's nicht viel anders aus. Mehrere Seiten Tabellen über die Messung des Gleichstromwiderstandes der Sicherungen kommen völlig ohne Diskussion ob und inwiefern diese Meßwerte in einer konkreten Situation überhaupt relevant sind. Man erweckt den Eindruck als wäre es umso besser je geringer dieser Widerstand ist. Das kann man aber bloß beurteilen wenn man weiß in welcher Schaltungsumgebung die Sicherung eingesetzt werden soll. In der Regel ist das in der Stromversorgung, z.B. in der Primärwicklung eines Netztrafos. Gerade da ist der Einfluß aber völlig vernachlässigbar.

Der Brüller ist aber, daß der Widerstand getrennt für die beiden "Laufrichtungen" gemessen wird, und der Autor entblödet sich nicht die Unterschiede auf die Zugrichtung des Drahtes zurückzuführen. Bei der Größenordnung dieser Unterschiede ist aber klar daß schon die Reproduzierbarkeit der Messung schlechter sein muß, wir reden hier von ein paar Millionstel eines Ohms. Kontaktwiderstände eines Sicherungshalters sind weit größer. Dem Autor feht offenbar jede realistische Einschätzung der Lage und der Relevanz seiner Messungen. Das wird noch unterstrichen bei den Messungen mit einem Impedanz-Analysator, der mit Wechselstrom mißt. Auch hier weist der Autor darauf hin daß es unterschiedliche Ergebnisse bei beiden "Laufrichtungen" gegeben hat. Wenn es einen Punkt gibt, wo man den völligen Unverstand am deutlichsten sieht, dann hier.

Die Rauschmessungen sind ebenso daneben. Man kann zwar dadurch feststellen ob und in welchem Ausmaß ein Stromrauschen auftritt, das über das thermische Rauschen hinaus geht, aber über die Auswirkungen auf das Gerät in dem die Sicherung sitzt ist dadurch nichts gesagt. Eine nachvollziehbare Argumentation über den Zusammenhang fehlt völlig. Der Autor tut wieder so als verstünde sich das von selbst, dabei ist das Gegenteil der Fall. Genauso bei der Thermospannung, die ist ebenfalls in der Praxis irrelevant, denn es handelt sich um eine Gleichspannung, und ähnliche Thermospannungen treten an vielen Stellen im Gerät auf ohne daß es eine Auswirkung hätte (wir reden von Mikrovolt hier).

Also das gleiche Bild erneut: Zwischen den Meßwerten und der behaupteten Wirkung ist der Zusammenhang eine bloße Unterstellung, die nirgends nachgewiesen wird. Stattdessen tut man alles um dem Leser den Zusammenhang implizit nahezulegen, und schreckt dabei nicht vor einer völlig unsinnigen Interpretation der Messwerte zurück.

Beim Dokument über die Sicherungs-Messungen ist noch bemerkenswert daß ein Textabschnitt eingefügt ist, in dem anscheinend die Firma Hifi-Tuning "spricht" und nicht Gecom. Das wird aber nicht klar gemacht, es ergibt sich eher aus dem Zusammenhang und aus dem verwendeten Textfont. Es wird also zusätzlich noch verschleiert wer hier was behauptet. Die Trennung zwischen Auftraggeber und Meßlabor verschwimmt.

Ich muß sagen daß das alles einen verheerenden Eindruck bei mir hinterläßt. Hier werden alle Prinzipien seriösen Arbeitens geradezu mit Füßen getreten. Mit solchen Beispielen seiner Arbeit gibt sich Stephan Goetze der Lächerlichkeit preis. Da muß der audiophile Wahn eine Sicherung zum Durchbrennen gebracht haben.

Montag, 4. Oktober 2010

Die neuen Leiden des jungen High-End-Herstellers

In den letzten Jahren hat immer wieder mal einer der kleineren Audio-Hersteller aus der Profi-Ecke angefangen sich im "High-End"-Audio-Bereich zu engagieren. Ich finde das "interessant". Wissen die Leute auf was sie sich da einlassen? Sind sie auf die "Kundschaft" vorbereitet die sie erwartet?

Auf den ersten Blick sieht so ein Schritt ja durchaus logisch und folgerichtig aus. Man hat sich im Profibereich einen gewissen Namen erarbeitet, kennt sich mit seiner Technik aus, und es scheint im hochpreisigen Consumer-Bereich Leute zu geben die Qualität zu schätzen wissen und dafür auch ein paar Euro mehr auszugeben bereit sind. Jetzt muß man nur noch seine Technik in ein Gehäuse verpacken das sich auch im Wohnzimmer gut macht und nicht bloß im Technikraum eines Studios. Guter Plan, oder?

Solche Gedanken scheinen sich im deutschsprachigen Raum z.B. Daniel Weiss gemacht zu haben, und danach Fried Reim. Bestimmt auch Thomas Funk, aber der hält sich bislang (un-) auffällig zurück. Bei allen dreien ist der Leumund natürlich völlig unzweifelhaft, ganz im Gegensatz zu einigen von vorn herein auf den High-End-Bereich zielenden Gesellen. Umso spannender ist es sich anzusehen wie sie sich "am anderen Ufer" behaupten.

Die Pro-Audio-Kunden sind auch nicht immer die kompletten Durchblicker, aber als Pro-Audio-Hersteller ist man nicht unbedingt vorbereitet auf den Typ von Kundschaft den man im High-End-Bereich vorfindet. Ich habe für die betroffenen Hersteller großes Mitgefühl, und gleichzeitig große Neugier wie sie diese Herausforderung meistern. Unter anderem interessiert mich dabei auch wie sie auf die Erkenntnis reagieren daß das Geld in diesem Bereich eventuell nicht ganz so einfach verdient ist wie man es sich vielleicht vorstellen würde. Man kann zwar ordentliche Preise verlangen und ordentliche Margen erzielen, aber man muß dafür auch all die Vollpfosten ertragen können die sich für gescheiter halten als man selbst. Tricky.

Sehen wir uns mal an einem schon etwas älteren Beispiel aus dem Hifi-Forum an wie das so ablaufen kann. "Betroffener" ist in diesem Fall Fried Reim als Vertreter seiner Marke "Violectric", was auch deswegen ein interessantes Beispiel abgibt weil er in betreffendem Thread unter dem Nick "fdg" selbst schreibt.

Die Story in Stichworten: Violectric hat einen neuen D/A-Wandler vorgestellt, und im Forum berichtet einer der ersten Kunden über seinen Test des neuen Geräts. Der fällt nicht gerade positiv aus, denn der Tester hört keinen Unterschied zum eingebauten Wandler seines CD-Spielers. Das und die sich daran anschließende Diskussion illustriert ganz gut mit welcher "Meute", mit welcher Erwartungshaltung und mit welcher "Fachkompetenz" man es hier zu tun hat.

Der gerade für einen Pro-Audio-Entwickler mit einem gerüttelten Maß an Sachverstand befremdliche erste Punkt ist diese interessante Erwartungshaltung, daß ein D/A-Wandler irgendwie "anders" klingen müsse. Für mich und offenbar auch Fried wäre das erst einmal eine beruhigende Nachricht. Das Vergleichsgerät wurde anscheinend ebenfalls kompetent entwickelt, und der Vergleich findet auf einem hohen Niveau statt. Bloß daß der Tester das ganz anders sieht. Daß er für Null Klangunterschied kein neues Gerät kaufen wird und somit als Kunde ausfällt ist ja noch nachvollziehbar, wenigstens wenn sein Motiv für einen CD-Wandler-Kauf darin besteht seinen CD-Spieler "aufzupeppen", aber warum zieht er daraus nicht einfach den Schluß daß sein CD-Spieler auch mit dem internen Wandler schon auf einem hohen Niveau spielt?

Stattdessen scheint festzustehen daß der CD-Spieler-Wandler nicht viel taugt und demzufolge der neue D/A-Wandler ebensowenig taugen kann. Das ist die audiophile Erwartungshaltung und gleichzeitig der audiophile Selbstzweifel: Was ich momentan habe ist sicher suboptimal, ich brauche was besseres, und das muß einen merklichen Unterschied machen. Das Problem ist bloß: Je besser die Geräte werden, desto gleicher klingen sie. So jedenfalls sieht's ein "Profi". Der Audiophile sieht's gerade andersrum: Je besser die Geräte werden desto verschiedener klingen sie. Die Anlage wird "hochauflösender", deckt mehr Unterschiede auf, so sieht er das. In Wirklichkeit geht die Qualität so bergab, den nur bergab kann es zu immer deutlicher wahrnehmbaren Unterschieden kommen.

Die Frustration des Entwicklers ist in so einem Szenario greifbar: Er ist überzeugt ein gutes Produkt gemacht zu haben, und dann schreibt ein audiophiler Tester einen Bericht der (zumindest in den Augen des Entwicklers) darauf hinausläuft daß das Gerät leider nicht schlecht genug ist. Man steht schlecht da, obwohl man nichts falsch gemacht hat. Falsch im Kontext der eigenen Qualitätsvorstellung jedenfalls. Wieso kneift man für solche Dilettanten dann eigentlich den Arsch zusammen und gibt sich Mühe? Man könnte problemlos einen Ramsch zusammenlöten, der jede Regel ordentlicher Ingenieursarbeit mit Füßen tritt, und die Leute hätten ein Gerät das tatsächlich unterschiedlich klingt. Nämlich grottenfalsch. Und sie würden es feiern. Wie z.B. die NOS-Wandler.

Und es geht weiter: Mit audiophilem Gespür findet der Tester die entscheidende Achillesferse des Gerätes, nämlich daß es eine digitale Lautstärkeregelung besitzt. Da würde ja der Datenstrom "beschnitten". Das passiert genau genommen im D/A-Wandler-Chip selbst, und der Einwand zeigt wie es um den Sachverstand des Testers bestellt ist. Im D/A-Wandler werkelt ein Digitalfilter, das bestimmt hunderte von Rechenoperationen am Audiosignal ausführt bevor es ins Analoge gewandelt wird. Die eine Rechenoperation für die Lautstärke (eine Multiplikation) ist aber was anderes, die macht angeblich den Unterschied, und der High-End-Status des Gerätes ist damit futsch.

Man wäre ja sogar als sachverständiger Dritter geneigt, dem Gesellen den berühmten Rat von Dieter Nuhr anzuempfehlen, wieviel mehr muß es da den Hersteller selbst drängen, um dessen "Baby" es schließlich geht. Aber gerade als Hersteller muß man zum üblen Spiel ja gute Miene machen, wie würde das aussehen wenn man die potenzielle Kundschaft abbürstet, so sehr sie das auch verdient hätte?

Drum finde ich daß die Geräte recht teuer sein müssen. Schließlich muß die Rechnung des Psychiaters, den man in ein paar Jahren braucht, davon mit abgedeckt sein. Nicht blöde finde ich die Strategie von Daniel Weiss. Der macht seine Geräte derart heftig teuer daß damit auch diejenigen "Kunden" abgeschreckt sind wie die Leute in diesem Hifi-Forum-Thread. Das spart Nerven. Wer sich ein Weiss-Gerät zum Ausprobieren stellen läßt wird sich hinterher wohl kaum einen 50€ China-Bausatz anschaffen und dann die Schmach dadurch kompensieren daß er das Ding mit aller Kraft in den Foren hypt.