Donnerstag, 16. Januar 2014

Zu ehrlich

Auch wenn man seitens der Bundesregierung noch Hoffnung vorgaukelt, so scheint klar daß es ein "No-Spy-Abkommen" wegen der Weigerung der USA nicht geben wird. Super, das ist besser als ich befürchtet hätte. Die amerikanische Regierung ist ganz offensichtlich zu ehrlich als daß sie sich auf diese versuchte Bürgerverarschung eingelassen hätte. Hätte ich ihr nicht zugetraut.

Das schiere Ausmaß an Heuchelei und Unehrlichkeit der Bundesregierung war und ist in dieser Sache ohnehin schwer erträglich. Laßt mich mal versuchen, nur die wichtigsten Punkte aufzuzählen, die mir in dieser Sache gegen den Strich gehen:

Wie man sich erinnert, ist die Idee des "No-Spy-Abkommens" aus der Abhörung der Kanzlerin-Handies durch amerikanische Geheimdienste motiviert, die im Zusammenhang mit den Snowden-Enthüllungen bekannt wurde. Merkel's rote Linie wurde anscheinend erst dann überschritten, als sie selbst betroffen war. Massenhafte Ausforschung von ganzen Bevölkerungen, auch unter klarer Rechtsverletzung, hatte sie zuvor nicht wirklich tangiert. Und ein großer Teil der Medienlandschaft und Bevölkerung scheint erst ab dem Punkt hinreichend empört gewesen zu sein.

Dabei ist gerade das unsäglich hirnlos und naïv. Daß Regierungschefs ausgespäht werden war schon lange vor Snowden und vor der Existenz von Handies Usus, und daß auch unter "Partnern" ausgespäht wird, vor allem dann wenn man denkt es sich ohne große Nachteile leisten zu können, das ist vermutlich jedem Azubi bei Polizei und Diensten sonnenklar. Das eigentlich Neue ist das flächendeckende Ausforschen der gesamten Datenkommunikation und damit von ganzen Bevölkerungen. Wenn Merkel geglaubt hat, gefahrlos unverschlüsselt telefonieren zu können, weil die Amerikaner ja Freunde sind, was hat sie gedacht was die Chinesen, Russen oder manche andere Staaten so treiben, die ihre Botschaften in Sichtweite der amerikanischen Botschaft und des Kanzleramts haben? Hat sie geglaubt, die seien zum Abhören von unverschlüsselten Handies per se unfähig?

Ich glaube das nicht. Sie ist nicht so dämlich. Wäre das wirklich ihr Anliegen gewesen, dann hätte sie sich nicht in der Öffentlichkeit darüber mokiert und sich selbst der Lächerlichkeit preisgegeben, sondern hinter den Kulissen den Pofalla zur Brust genommen und ihn damit beauftragt, für sichere Kommunikation zu sorgen. Die öffentliche Empörungs-Show war (und ist) ein reines Ablenkungsmanöver. Ein Entlastungsangriff. Wenn daran etwas verstörend ist, dann wie viele Leute darauf anscheinend reingefallen sind.

Wenn es die Regierungschefin eines so hochentwickelten Staates wie dem unsrigen nicht fertig bringt, sich von ihrem Machtapparat mit angemessen sicheren Kommunikationsmitteln ausrüsten zu lassen, dann ist das ausschließlich ihr eigenes Problem, und die angemessene Reaktion der Öffentlichkeit und insbesondere der Presse wäre es, sie das spüren zu lassen.

Das für die Öffentlichkeit interessante Thema des Schutzes der Bürger vor den Übergriffen von fremden (und ggf. auch den eigenen) Geheimdiensten ist dagegen sehr wohl Regierungsaufgabe und Wert, öffentlich diskutiert zu werden.

Das angestrebte "No-Spy-Abkommen" soll aber offenbar das gegenseitige Abhören der Regierungen einschränken und nicht das der restlichen Bevölkerung. Ein idiotisches Vorhaben, denn wenn ein solches Abkommen auch nur die Druckerschwärze wert sein soll, dann müßte die Einhaltung überprüfbar und sanktionierbar sein. Man versuche mal sich vorzustellen, wie das in der Praxis aussehen soll. Angenommen, der deutsche Verfassungsschutz nähme seine Aufgabe ernst und fände tatsächlich heraus, daß die Amerikaner eine deutsche Regierungsstelle ausgespäht haben, was sie nach dem hypothetischen No-Spy-Abkommen nicht gedurft hätten. Was dann? Dienst meldet Verstoß an Kanzleramt, Kanzleramt verurteilt Amerikaner zur Zahlung von 100 Millionen Vertragsstrafe? Die dann nicht gezahlt werden? In der Praxis ist doch völlig klar daß überhaupt nichts passieren wird, es könnte höchstens sein daß irgendwann ein frustrierter Mitarbeiter etwas an die Presse durchsticht, aber dafür ist kein Abkommen nötig.

Also im Klartext: So ein Abkommen bringt rein gar nichts. Kann es gar nicht. Das ganze Vorhaben ist damit reine Augenwischerei, was Merkel+Co. natürlich wissen und so von vorn herein beabsichtigt haben. Und offenbar dachten sie sich, daß die Amerikaner (und ggf. auch die Briten) dabei mitmachen, weil sie an der Augenwischerei das gleiche Interesse haben müßten. Natürlich hätten sie hinter den Kulissen genauso weiter gemacht wie bisher, was von der Bundesregierung auch einkalkuliert war. Das Ziel war, mit so einem Papiertiger den öffentlichen Blick vom eigentlichen Problem abzulenken.

Das scheint eine Fehleinschätzung zu sein. Der Großteil der amerikanischen Bevölkerung hat anscheinend keinerlei Problem damit wenn ihre Regierung die Bevölkerungen anderer Länder in großem Stil ausspioniert, auch nicht wenn es sich um "befreundete" Staaten handelt. Augenwischerei ist da gar nicht nötig, die Regierung kann klar sagen daß man nicht daran denkt, die Praktiken zu ändern, und das Wahlvolk ist einverstanden. Das Ausland genießt keinerlei Rechte aus der amerikanischen Verfassung - wir Nichtamerikaner sind allesamt Freiwild. Der Durchschnittsamerikaner findet das ganz in Ordnung so. Und mal ehrlich, können wir ihnen das verübeln? War da nicht gerade eine öffentliche Debatte bei uns, die sich um die Rechte von Zuwanderern auf Zuwendungen aus dem Sozialetat drehte? Welche Rechte aus unserer Verfassung haben denn Ausländer?

Wenn die Amis es nicht nötig haben, bei der Augenwischerei mitzumachen, dann kommen wir in den Genuß von ein bißchen unerwarteter (und unverdienter) Ehrlichkeit. Wir sollten das begrüßen, schließlich macht das den Blick auf den Politikbetrieb in unserem eigenen Land etwas klarer. Es hilft ein paar (unbequeme?) Wahrheiten sichtbar zu machen:
  •  Unsere eigene Regierung hat keinerlei Interesse, die eigene Bevölkerung vor Ausspähung zu schützen, auch nicht vor Ausspähung durch Fremdstaaten oder ausländische Konzerne. Sie tun alles, um nicht in dieser Richtung in die Pflicht genommen zu werden. Sie kooperieren im Gegenteil mit Geheimdiensten anderer Staaten, um die eigene Bevölkerung besser ausforschen zu können, und dabei unsere eigenen Gesetze zu umgehen. Jüngste Bestätigung dieser ohnehin evidenten Tatsache ist Ex-Innenminister Friedrich's Aussage, er habe wichtigere Probleme gehabt als die NSA-Affäre. Eine wirksame Bekämpfung der Ausspähung ist das Allerletzte was diese Regierung wollte oder will.
  • Wenn es um geheimdienstliche Aktivitäten geht, dann gibt es keine "Freundschaft" oder "Partnerschaft", zumindest nicht in dem Sinne daß sich dadurch irgendwelche Maßnahmen verbieten würden. Es gibt Zusammenarbeit auf Gegenseitigkeit, und es gibt in gewissem Ausmaß auch Abhängigkeiten, aber das war's dann auch schon. Wer nicht den Kürzeren ziehen will, der muß für eine Machtbalance sorgen, so weit das innerhalb seiner Möglichkeiten ist.
  • Die amerikanische Regierung versucht der eigenen Bevölkerung zu gefallen und nicht der deutschen oder europäischen. Die amerikanische Bevölkerung hat keinerlei Sympathie mit den Individualrechten von Ausländern. Die kommen einfach nicht vor, und wem das nicht paßt, der hat eben Pech gehabt. Wenn es nach der amerikanischen Bevölkerung geht, und damit auch der amerikanischen Regierung, dann können die Geheimdienste mit den Ausländern umspringen wie sie wollen, Hauptsache die Amerikaner haben dabei den Eindruck daß es ihrer Sicherheit oder allgemeiner ihrem Interesse nützt. Im Grunde versuchen sie uns und unserer Regierung diese Tatsache seit Monaten beizubringen, wir wollen's aber anscheinend immer noch nicht wahrhaben.
  • Die Amerikaner versuchen auch seit Monaten, uns in unterschiedlich diplomatischen Formulierungen klar zu machen, daß sie sich am längeren Hebel sehen. Daß sie der Meinung sind, daß von einer Abkühlung der transatlantischen Beziehungen wir Deutschen die größeren Nachteile hätten, und es daher keinen Grund für ein amerikanisches Entgegenkommen gibt. Kurz: "Wenn Ihr damit durchkommen wollt müßt Ihr ganz schön die Arschbacken zusammenkneifen". Ich sehe keine Bereitschaft bei uns, weder in der Regierung noch in der Bevölkerung, das zu tun. Wie ich schon mal hier angedeutet habe, haben wir es uns im amerikanischen Arsch bequem gemacht, und fürchten die Kälte wenn wir da raus müßten.
Statt sich über diesen "No-Spy"-Unsinn zu unterhalten, sollten wir uns viel eher darüber unterhalten, was die Amerianer wollen, was unsere Regierung will, und was wir als die Bevölkerung wollen. Und welche Chancen und Druckmittel wir dabei haben. Wir sollten uns die Hohlwörter sparen, wie z.B. "befreundeter Staat" oder "Wertegemeinschaft", und uns an die Tatsachen halten, wozu auch die gar nicht so schwer zu verstehenden Aussagen und Signale der "Anderen"zählen. Wenn wir so ehrlich diskutieren würden wie die Amerikaner, dann wären wir schon einen Schritt weiter.