Donnerstag, 27. März 2014

Rechtschaffen gelogen

"Pono" ist angeblich das hawaiianische Wort für "rechtschaffen". Wenn's nach Neil Young und ein paar Mitstreitern geht, dann kann man diese Art der Rechtschaffenheit bald kaufen. Das Produkt mit diesem Namen ist ein etwas zu groß und teuer geratener iPod für die Audiophilen und MP3-Hasser dieser Welt, zusammen mit einem Online-Dienst zum Verkauf der dazu passenden hochauflösenden Musikdateien.

Nun bin ich ein ziemlicher Fan von Neil Young, genauer gesagt von seiner Musik, und von daher weiß ich auch daß er mit der Rechtschaffenheit ein bißchen einen Spleen hat, der schon in der Vergangenheit manchmal in die falsche Richtung losgegangen ist. Aber ok, das ist die künsterische Freiheit. Wenn gute Musik dabei rauskommt, darf sich der Künster auch mal ins Gemüse setzen. Young's schrägste Musik kam raus als er auf dem religiösen Trip war, und ich war froh als er damit fertig war.

Aber das was er jetzt so treibt fliegt mir direkt ins Auge, und ich komme nicht darum herum, ihm in aller Freundschaft die Messe zu lesen. Was er da mit deinem Pono-Projekt treibt hat nur insofern etwas mit Rechtschaffenheit zu tun, als es das Gegenteil ist. Es ist eine Marketinglüge, die mit schubkarrenweise Heuchelei und Geschichtsklitterung verkauft wird.

Kürzlich hat Neil auf der SWSX einen etwa halbstündigen Vortrag zur Einführung des Pono gehalten, und dabei tief in die Klischeekiste gegriffen, allen voran das audiophile Klischee des Künstlers, der die bestmögliche (analoge) Qualität seiner Songs anstrebt, und die Industrie, die daraus (digitalen) Klangschrott macht. Die Guten und die Bösen, in schöner rechtschaffen-amerikanischer Tradition. Parallel dazu verbreitet die Marketingmaschine Unsinn über die technische Seite. Aus einem sechtel der Daten eines Audioformates werden nolens volens ein sechtel der "musikalischen Information". Musikalische Information wird einfach mit den Bits gleichgesetzt.

Ich weiß gar nicht wo ich da mit dem Aufräumen anfangen soll.

Vielleicht mit der Geschichte. Als es mit der digitalen Aufnahmetechnich so um 1980 richtig los ging, waren sehr viele Musikschaffende, also gerade auch Musiker und Dirigenten, aber auch Produzenten und Toningenieure, von den klanglichen Qualitäten der neuen Technik begeistert. Und das obwohl die damals verfügbaren A/D und D/A-Wandler aus heutiger Sicht ziemlich bescheiden waren. Man konnte froh sein wenn die 14 ehrliche Bits boten. Trotzdem war das gegenüber dem was an analogen Speichertechniken zur Verfügung stand überlegen. Karajan war einer der aktivsten Protagonisten - war der taub? Was war mit Ry Cooder, der die erste digital aufgenommene Pop-Platte rausbrachte? Stevie Wonder? Donald Fagen? Peter Gabriel? Alle taub? Das war noch bevor die CD offiziell gestartet war, wohlgemerkt!

Aber jetzt, im Nachhinein, will Young schon immer einen mit der Digitaltechnik einher gehenden Schwund an Qualität bemerkt haben, schon mit den ersten großen digitalen Mehrspurmaschinen, die er benutzte. Mir scheint, da paßt sich seine Erinnerung an seine momentane Ideologie an. Mit der Realität hat das nicht allzu viel zu tun.

Nun bin ich sicher der Letzte der leugnen würde, daß die Tonqualität seit längerem auf dem Weg bergab gewesen ist. Es ist der sattsam bekannte "Loudness War", über den schon viel geschrieben wurde (auch von mir), und von dem man den Eindruck haben kann daß die Talsohle inzwischen durchschritten ist. Bloß hat der Loudness-War nicht mit der Digitaltechnik zu tun, es sei denn daß man der Technik zur Last legt daß sie immer mehr Flexibilität bietet, die eben auch klangverschlechternd benutzt werden kann, wenn man das so will, oder wenn man keine Ahnung hat, oder keine Hemmungen. Der Loudness-War kam aber nicht mit der Digitaltechnik in Gang, sondern erst etliche Jahre danach, als die CD das Mainstream-Medium geworden war, und damit nicht an den audiophilen Marktgerichtet war, sondern an den Massenmarkt. Das war gegen Ende der 1980er der Fall, und nochmal ein Jahrzehnt danach war es dann so weit daß tragbare MP3-Player in den Massenmarkt drängten.

Der klangliche Abstieg seit dieser Zeit ist kein Zeichen für ein Problem der Digitaltechnik, wie Young und seine Mitstreiter suggerieren, sondern eine Folge des Loudness-Wars, der einerseits durch die Digitaltechnik mit ihren erweiterten Möglichkeiten erleichtert wurde. Andererseits ist gerade digitale Tontechnik gegenüber den Übersteuerungen, die dadurch resultieren, in klanglicher Hinsicht besonders empfindlich.

Wer den Luxus hat, frühe CD-Pressungen zu haben, die aus den 1980ern stammen (kein Remaster!), der weiß wovon ich rede. Wenn die Digitaltechnik ein prinzipielles Problem hätte, müßte man es dort mindestens genauso, wenn nicht sogar mehr bemerken, als mit neuen Produktionen. Es ist aber oft genau umgekehrt: Die damaligen Produktionen klingen besser, der schlechteren Wandlertechnik zum Trotz! Folglich könnte man mit späterer Technik ein eher noch besseres Ergebnis erzeugen, unter Beibehaltung des CD-Formats, wenn man nur wollte oder will. Und das haben die ganze Zeit hindurch auch immer wieder gute Produktionen gezeigt.

Das könnte auch Neil Young wissen wenn er ehrlich wäre. Er könnte einen seiner hochauflösenden Titel mit 192k/24-bit auf 44,1k/16-bit konvertieren und feststellen, daß er keinen Unterschied merkt. Ich gehe davon aus daß er es gar nicht erst probiert hat, wenigstens nicht verblindet.

Und es wäre auch ehrlicher von ihm, wenn er zugeben würde daß es nicht zuletzt oftmals die Musiker selbst sind, die es immer lauter wollten. Daß die klangzerstörerische Konspiration der "Industrie" gegen die Interessen der Musiker wohl eher ein Mythos ist, dessen Verbreitung nicht etwa rechtschaffen ist, sondern heuchlerisch.

Das MP3-Bashing wirkt auf mich in diesem Zusammenhang mehr und mehr komisch bis absurd. Wir haben die Zeiten hinter uns gelassen, als Speicherkapazität und Netzbandbreite so teuer waren, daß für MP3 gute Gründe gesprochen hätten. Alle aktuellen Player, Smartphones und Tablets spielen problemlos auch unkomprimierte Dateien ab, und auch das Streaming über's Netz kann mit unkomprimierten Dateien umgehen. Worin liegt der Sinn, auf einem toten Pferd rumzuprügeln, noch dazu mit faulen Argumenten? MP3 und Verwandte bleiben uns hauptsächlich im Bereich Radio und Fernsehen erhalten, und dort mit gutem Grund: Funkbandbreite ist eine limitierte Ressource und es bleibt teuer, wenn man ein terrestrisches Sendernetz betreiben muß.

Es ist überdies recht bizarr, wenn man alten Männern dabei zusieht, wenn sie sich über die Unterschiede in der Klangqualität verschiedener Audioformate auslassen, die sich in Frequenzbereichen abspielen die sie wahrscheinlich schon seit 30 Jahren nicht mehr gehört haben. Gerade Neil Young, der ziemlich auf die 70 zugeht, kann mir nicht erzählen, speziell bei seiner Vergangenheit nicht, daß er auch nur annähernd das Frequenzspektrum der CD ausschöpft. Das käme einem anatomischen Wunder gleich. Wahrscheinlicher ist, daß Musiker dieses Alters und Genres erhebliche Hörschäden haben. Und ausgerechnet die sind jetzt die Kronzeugen für hochauflösende Formate? Soll ich lachen oder verzweifeln?

Aber vielleicht ist gerade das ja eine Erklärung für die MP3-Abneigung. Es gibt ja schon seit Langem Hinweise darauf, daß Hörschäden dazu führen können, daß die psychoakustischen Modelle, auf denen MP3 beruht, nicht mehr hinhauen. Das könnte dann zum scheinbaren Paradox führen, daß die systemimmanenten Verzerrungen von MP3, die bei normalen Hörern verdeckt würden und nicht wahrgenommen werden, bei Hörgeschädigten eben nicht mehr verdeckt werden, und folglich auffallen. Man müßte dann nicht halb taub sein, um MP3 gut zu finden, wie man aus audiophilen Kreisen arroganterweise immer wieder hört, sondern man müßte halb taub sein um MP3 schlecht zu finden.

Und dann das Pono-Gerät selbst: Wer will denn bitte so ein klobiges Ding haben, das noch dazu fast nichts kann? Es kann nicht mal Wireless! Man vergleiche das Ding mal mit Apple's Produktlinie, um sich das (Miß-)Verhältnis in Design, Größe, Akkulaufzeit, Leistungsfähigkeit etc. klar zu machen! Was könnte Apple für einen Verkaufspreis von $399 anbieten? Und Apple war nie ein Billiganbieter!

Stattdessen läßt man sich das Innere von Ayre ausrüsten, dem Inbegriff sinnloser Opulenz und hemmungsloser Anti-Gegenkopplungs-Propaganda!

Tut mir leid, aber ich finde an dem Ganzen kein gutes Haar. Viel Geld und viel Getöse um Nichts, jedenfalls nichts Neues, und mir ist noch nicht einmal klar wie das Kopierschutzmodell aussehen soll, denn ich bezweifle daß darauf ganz verzichtet werden soll. Bisher war noch jeder Versuch, die CD zu ersetzen, mit dem Versuch verbunden, das freie Kopieren einzuschränken, auch wenn es nicht für unmoralische Zwecke sein sollte. Wenn das Ganze dann noch mit Lügen und Fehlinformation verkauft wird, dann ist meine rote Linie überschritten.

Sorry Neil, mach lieber Musik. Das habe ich an Dir bisher geschätzt. Deine Pono-Kampagne ist weder ehrlich noch rechtschaffen, es ist ein Etikettenschwindel.