Samstag, 21. Juni 2014

Aftermarket-Musen

Angenommen, Du bist Marketingmensch bei einem Chiphersteller. Operationsverstärker und andere Audiochips. Bisher war Deine Firma für gute Qualität bei ziemlich niedrigem Preis bekannt, weshalb die Chips praktisch überall im Massenmarkt eingebaut werden, von den übelsten Ghettoblastern bis hin zur Nobelklasse und dem Profisegment. Das Problem: Niedrige Preise, das heißt auch niedrige Marge, und das bedeutet man verdient Geld nur über die hohe Stückzahl.

Und dann siehst Du zu, wie eine Firma wie Texas Instruments, genauer ihre vor Jahren eingemeindete Marke "Burr-Brown", ihre teuersten OpAmps in den Audiophilen-Markt verkauft, und gutes Geld damit verdient. OPA627, da kriegt so mancher leuchtende Augen. Eine Suche nach "OPA627" bei ebay reicht, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Da verkaufen Leute sogar Adapterplatinchen, damit man mit zwei Einfach-Operationsverstärkern wie dem OPA627 einen Doppel-Operationsverstärker ersetzen kann, wie er in den meisten Geräten verwendet wird.

Du wärst kein Marketingmensch, wenn Du da nicht überlegen würdest, wie man seine Pfoten in diese Torte kriegt.

Also mal überlegen, wie stellt man das an? Wie sieht der angepeilte Kunde aus, welche Eigenschaften muß das Produkt haben, wieviel muß es kosten, und wie muß das Marketing dafür aussehen?

Der angepeilte Kunde
  • hat keine Ahnung von elektronischer Schaltungstechnik
  • will in seinen Geräten OpAmps tauschen, um sie "klanglich aufzuwerten"
  • ist Subjektivist und läßt sich daher mit subjektiven Klangargumenten beeindrucken
  • ist Materialfetischist
  • hat kein Problem damit, signifikant Geld in Nippes zu stecken
  • hält sich für gehörmäßig begnadet
Das Produkt muß daher
  • bastelsicher sein, also möglichst ohne Komplikationen anstelle normaler OpAmps einsetzbar sein
  • muß ein Doppel-Opamp im Standard-DIL8-Gehäuse mit Standard-Pinout sein.
  • muß exotische Materialien beinhalten, die eine Preisrechtfertigung liefern können
  • trotzdem günstig herstellbar sein
Der Preis muß
  • höher sein als zwei OPA627
  • noch innerhalb des Rahmens bleiben, der für Basteleien akzeptiert wird
Das Marketing muß
  • die subjektive Ebene ansprechen
  • das übliche audiophile Vokabular bedienen, mit dem sich die Zielgruppe identifiziert
  • betonen, daß technische Spezifikationen den Klang nicht ausdrücken können
  • die exotischen Materialien herausheben und für sie eine Pseudobegründung erfinden
  • Nachahmer bekämpfen
Guter Plan, oder? Die Erfahrung über die letzten Jahre hat zweifelsfrei gezeigt, daß die Anzahl an OpAmp-Tauschern groß genug ist, daß sich ein ganzer Markt darum gebildet hat, bis hin zu ziemlich komplexen Modulen, wo die OpAmp-Funktion mit diskreten Bauelementen nachgebildet wird. Kann nichts schief gehen.

Also, tata! Vorhang auf! MUSES!

Kleine Komplikation: Es gibt zwei Alternativen, den MUSES01 und den MUSES02. Einer mit JFET-Eingang, der andere bipolar. Der typische OpAmp-Tauscher ist völlig überfordert damit, zu entscheiden welcher in einer bestimmten Anwendung besser passt. Er wird sich also beide anschaffen müssen, um sie gegeneinander zu testen, und das verdoppelt gleich mal die Investition, mit der Aussicht, die Hälfte davon danach nicht zu nutzen. Das ist psychologisch schlecht. Da haben sich dummerweise vermutlich die Techniker durchgesetzt, mit Argumenten, die zwar Hand und Fuß haben, die der Kunde aber nicht versteht.

Noch eine Komplikation: Es nutzt wenig, vor Nachahmern zu warnen, wenn der übliche OpAmp-Tauscher die Chips bloß über ebay beschaffen kann. Ein DIL8-Gehäuse täuschend echt zu bestempeln kriegt in Fernost jede Frickelbude hin. Wie kriegt der übliche Bastler heraus ob das Kupfer in den OpAmp-Anschlüssen nun wirklich sauerstoffrei ist, oder ob man ihn geleimt hat?

Das ist halt die Krux bei einer solchen Marketing-getriebenen Hoch-Margen-Strategie: Es ist sehr leicht für Trittbrettfahrer, die Marketinganstrengungen, die ein Anderer macht, zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen. Der "Mehrwert" steckt ja ausschließlich im aufgebauten Image, und nicht im Produkt selbst. Wer sich das Image zunutze machen kann, ohne die dafür nötigen Ausgaben selbst leisten zu müssen, der kann da prima Parasit spielen.

Witzigerweise schafft NJRC selbst dafür die allerbesten Voraussetzungen, denn es gibt "Mass Market" Versionen der zwei OpAmp-Typen für wesentlich weniger Geld (relativ zu "normalen" OpAmps aber immer noch sehr viel), bei denen es so aussieht als wären die gleichen Chips drin, bloß nicht auf einem Leadframe aus sauerstoffreien Kupfer. Worin der Unterschied genau besteht ist nicht so klar, aber es scheint mir eben als ob es auf's Leadframe hinaus läuft. Im Grunde ist damit schon NJRC selbst der erste Nachahmer seiner eigenen Produkte.

Überhaupt liegen die technischen Daten der Chips nicht signifikant anders als schon bei einigen der bisher bekannten und weit verbreiteten NJRC-Produkte, die für Cent-Beträge in großen Stückzahlen verkauft werden, z.B. dem NJM4580. Aber klar: Die großen klanglichen Vorteile kann man natürlich nicht in technischen Daten ausdrücken.

Grins.

Sonntag, 1. Juni 2014

Modell und Wirklichkeit

"Kaum zu fassen! Wie kann das sein? ... Den Effekt möchte ich als sehr groß zum Positiven beschreiben. In ALLEN Teildisziplinen, auf die ich achte, ist der Klang nun deutlich wahrnehmbar besser geworden. Schlicht unglaublich, ich war total baff! Besser sind Druck, Dynamik, Hintergrundschwärze, Detailreichtum, Bass, Staffelung, Plastizität, Klangfarben in den Mitten."
Was hier so enthusiastisch beschrieben wird ist das Ergebnis einer "Tuning"-maßnahme. Nämlich eines Sicherungstausches bei einem Pärchen Aktivlautsprecher.

Nun will ich nicht nochmal über den hier zum x-ten Mal aufgewärmten Sicherungsblödsinn referieren. Das habe ich hoffentlich hier ausreichend getan, ergänzt vielleicht noch durch den Verriß eines einschlägigen "Testberichtes" in der "Fachpresse".

Mir geht es auch nicht um die Pikanterie, daß hier unausgesprochen der Hersteller der Aktivlautsprecher für unfähig erklärt wird, was die geneigten Forendiskutanten noch gar nicht bemerkt zu haben scheinen. Schließlich müßte man bei derart frappierenden Klangverbesserungen ja automatisch auf den Gedanken kommen, daß das auch dem Hersteller selbst hätte auffallen können. Und der Hersteller ist in diesem Fall einer der Mitforisten (Gert Volk aka "fortepianus"). Wenn man durch bloßen Sicherungstausch ein Produkt dermaßen verbessern kann, das für einen Preis verkauft wird, bei dem die Kosten einer Sicherung sicherlich keine Rolle spielen, dann hat der Hersteller doch versagt, oder etwa nicht?

Aber das soll er bei Gelegenheit selber erklären, ich freue mich schon darauf wie er sich herauswindet. Mir geht's einstweilen eher um das was der Themenersteller so ausdrückte:
"Wie kann das nun sein, habe ich mich gefragt."
Und es folgt eine Litanei von technischen Spekulationen, die die faktische Wahrheit und Wirklichkeit der gehörten Verbesserung nicht mal im Ansatz in Frage stellt, die jegliche Möglichkeit von Wahrnehmungsirrtümer völlig ignoriert, die stattdessen aber auch die unwahrscheinlichste technische Pseudoerklärung eines technisch halbgebildeten für bare Münze nimmt, selbst wenn die den eigentlich (in diesem Forum) auf Händen getragenen Hersteller des Lautsprechers dumm aussehen läßt.

Ich frage mich stattdessen, wie kann es sein, daß dem Typen nicht auffällt, daß da irgend etwas ganz grundsätzlich faul sein muß bei seiner Herangehensweise? Wirklich ehrlich und ergebnisoffen kann er sich wohl kaum gefragt haben!

Interessanterweise kommt da ein Beitrag sehr gelegen, den der Deutschlandfunk letzten Donnerstag ausgestrahlt hat. Das Manuskript dafür findet man online, und nachhören kann man den Beitrag ebenfalls (siehe den Link am Ende des Manuskripts). Es geht da um Forschungsergebnisse, speziell aus der Berliner Charité, zum Thema des Verhältnisses zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit.

Für den Audiophilen ist der Fall klar: Meine Wahrnehmung ist die Wirklichkeit. Zweifel daran verbieten sich von selbst, denn das würde ja bedeuten ich hätte mir was eingebildet, und wenn's um Klänge geht, dann bildet sich ein wahrer Audiophiler nichts ein, basta. Erst recht nicht wenn's so deutlich, so frappierend war!

Daß diese Sichtweise der Dinge in diesem speziellen Forum privilegiert behandelt wird, dafür sorgen schon die "Funktionäre", insofern kommen wir unbeteiligten Beobachter in den Genuß solch unverblümter Demonstrationen audiophiler "Philosophie", die sie sich anderswo vielleicht wenigstens ansatzweise verkniffen hätten.

Wir Anderen ahnen zumindest, daß sich die Beziehung zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit nicht ganz so einfach darstellt, und daß da der eine oder andere "Wahrnehmungsunfall" passieren kann. Darauf wirft der Radiobeitrag ein Licht, und weil ich das in unserem audiophilen Kontext interessant finde, will ich mich hier ein wenig darüber ausbreiten. Ersetzen wir also mal spaßeshalber den als Beispiel verwendeten Tintenfisch im Radiobeitrag durch eine audiophile Sicherung, und sehen was sich dann argumentativ draus ergibt.

Hat "Salvador" die Sicherung gehört, so wie im Beitrag der Taucher den Tintenfisch gesehen hat?
Gehört hat Salvador nur ein verzerrtes Schattenbild der Sicherung. Die wahre Sicherung, das Sicherungsideal existiert im Reich der reinen Ideen, sagt Platon.
Aber halt! Stimmt ja gar nicht! Der Tintenfisch wurde gesehen, aber die Sicherung wurde nicht gehört! Gehört wurde Musik, die über eine Anlage wiedergegeben wurde, in der sich die Sicherung befand. Wenn für die Musik der Tintenfisch steht, was steht dann für die Anlage, und was für die Sicherung? Ist die Anlage das Wasser, in dem der Tintenfisch schwamm? Dann wäre die Sicherung vielleicht der Filter der Kläranlage, durch die das Wasser zuletzt floß. In den Farben des Tintenfisches würde man den Filter der Kläranlage sehen. "Verzerrtes Schattenbild", in der Tat!

Aber das war ja erst Platon, es folgt Hume:
Nein, nein, entgegnet David Hume. Er hat Schallwellen wahrgenommen, in einem räumlichen und zeitlichen Muster. Die Schallwellen waren assortiert, erst sein Geist hat daraus den Sicherungsklang gemacht.
Stimmt natürlich. Man hört noch nicht einmal Musik, man hört Schallwellen. Musik entsteht dann im Gehirn. Bevor daraus eine Sicherung wird, ist der Weg noch viel weiter.
Falsch, verspricht Gottfried Wilhelm Leibnitz. Der Klang der Sicherung in seinem Geist hat zwar keine direkte Beziehung zu der Sicherung im Gerät. Aber Gott hat Geist und Welt in Harmonie geschaffen. Deshalb kann er seinen Ohren trauen.
Mit Verlaub, ist das nicht etwas zu viel Gottvertrauen?
Die Sicherung an sich, sie kann er nicht erkennen, widerspricht Immanuel Kant energisch. Der Geist formt die Sinneseindrücke nach seinen eigenen Gesetzen, ordnet sie in Raum und Zeit, schließt auf Ursache und Wirkung. Wie die Welt, wie die Sicherung wirklich ist, darüber könne man nur spekulieren und solle besser schweigen.
Solche Spekulationen machen dem Audiophilen zu viel Freude als daß er darüber schweigen könnte, also wird diese Empfehlung von Kant wohl ins Leere laufen. Was er nicht begreift ist dies:
Georg Northoff: "Weil in jeder Erfahrung der Welt immer schon der eigene Beitrag des Gehirns, ich sage mal, mitkommt oder mitmischt, ist es für uns wirklich schwierig, zu trennen, was ist unser eigenes Gehirn und was ist wirklich die Welt selber, unabhängig vom Gehirn."
Um das nochmal einzureiben: Die Schwierigkeit liegt darin, zweierlei voneinander zu trennen:
  1. Die Wirklichkeit
  2. Den Beitrag des Gehirns
Ich könnte die Audiophilen ansatzweise ernst nehmen, wenn ich erkennen könnte daß sie sich um diese Trennung ernsthaft bemühen. Stattdessen finde ich immer wieder Audiophile, die mir weis zu machen versuchen, diese Trennung sei gar nicht nötig oder sinnvoll. Es gehe schließlich beim Musikhören um die Wahrnehmung, und eben nicht um die Wirklichkeit.

Wenn das so ist, dann geht es auch nicht um Sicherungen. Dann sind die Audiophilen selbst höchst inkonsequent. Man kann nicht auf der einen Seite die Wahrnehmung (einschließlich des Beitrags, der vom Gehirn geleistet wird) über die Wirklichkeit stellen, und zugleich auf der anderen Seite für alle wahrgenommenen Effekte irgendwelche (äußeren, wirklichen) Dinge verantwortlich machen. Das Gehirn kann nicht zugleich wichtig und unbeteiligt sein.

Wenn mir gegenüber also ein Audiophiler den Vorrang der (seiner!) Wahrnehmung postuliert, dann führt er sich im nächsten Moment ad absurdum, in dem er sich wieder irgendwelcher "Teile" widmet.

Für den, der die oben erwähnte Trennung ernst nimmt, zeigt sich wie stark dominant der Beitrag des Gehirns in dieser Sache ist. Es ist mittlerweile klar, daß die Wahrnehmung eine "Konstruktion" einer Wirklichkeits-Simulation darstellt, und damit eine aktive Leistung des Gehirns ist. Das geht weit hinaus über eine bloße "Abbildung", so unvollständig sie auch sein mag. Manche haben mir deswegen weis zu machen versucht, es gebe gar keine Wirklichkeit, es gebe nur die Wahrnehmung davon. Das ist in meinen Augen bloß wieder der Versuch, die Wahrnehmung für das eigentlich Wichtige zu erklären.

Natürlich gibt es die Wirklichkeit. Das ist (fast) eine Tautologie. Auch wenn es prinzipiell unmöglich sein sollte, sie vollständig zu erkennen. Also ist es sinnvoll, möglichst viel über sie herauszufinden, und das bedeutet eben, den Beitrag des Gehirns an der Wahrnehmung auszuklammern.
Sterzer: "Die grundsätzliche Idee, wie Wahrnehmung funktioniert, ist eigentlich die, dass Wahrnehmung letztlich ein Produkt aus unseren Erwartungen, unseren Vorannahmen und den sensorischen Eingangssignalen ist. Unsere Erwartungen prägen in ganz bedeutsamer Weise unsere Wahrnehmung."

Das kann man noch steigern: In vielen Fällen kommt es auch zu Wahrnehmung, ohne daß es dazu sensorische Eingangssignale bräuchte. Unsere Erwartungen und Vorannahmen allein reichen auch schon, um Wahrnehmungen zu erzeugen. Kurz gesagt: Wir bilden uns so manche Wahrnehmung ein. Besonders wenn die Erwartungen und Vorannahmen entsprechend ausfallen.
Wir erleben nicht die Welt, sondern eine virtuelle Realität, ein Modell. Das Verblüffende: sich selbst kann das Gehirn nicht beobachten. Der eigene Beitrag zur Wahrnehmung ist sozusagen sein blinder Fleck.
Man könnte wohl auch sagen: Wer es schafft, jemandem ein Modell der Wirklichkeit vorzugeben, der formt auch sein Erleben. Und dieses Erleben wirkt völlig real.

Was ich besonders interessant fand, weil es mir neu war (wenn ich auch schon den entsprechenden Verdacht hatte), ist dies:
Mit geschickten Manipulationen konnte Philipp Sterzer belegen, wie vorgefasste Meinungen auch den Sehsinn in die Irre leiten. Seine Probanden erlebte eine eigentlich zweideutige optische Illusion danach als stabiles Bild. Besonders interessant: Wer zu leicht wahnhaften Gedanken neigte, war anfälliger für diesen optischen Placeboeffekt.
"Also Menschen, die eher geneigt sind an zum Beispiel Übernatürliches zu glauben, an Verschwörung zu glauben, Zusammenhänge zu sehen zwischen Dingen die sie beobachten, die sind auch eher bereit, Dinge entsprechend ihren Erwartungen und ihren Überzeugungen wahrzunehmen. Was dann, so ist die Theorie, letztlich wiederum auch das wahnhafte Denken verstärken kann. Wenn ich die Welt so sehe, wie ich denke, dann denke ich auch wiederum so, wie ich sehe."
Es ist nicht schwer, das auf die Audiophilen zu übertragen, und auf das Hören. Wenn bei einem Hörvergleich kein Unterschied vorhanden ist, dann ist das eine "zweideutige akustische Illusion". Eine vorgefasste Meinung kann daraus leicht einen "stabilen Klang" ergeben. Wissen wir, daher braucht man Blindtests. Daß die Neigung allerdings mit der Anfälligkeit für Übernatürliches korelliert ist, habe ich bisher nur vermutet. Jetzt scheint das wissenschaftlich erwiesen zu sein.

Im AH-Forum scheinen solche Leute gehäuft aufzutreten.